Warum ausgerechnet Kabul?
Warum ausgerechnet Kabul?
Diese Frage hörte sie oft, als Ronja von Wurmb-Seibel
beschloss, 2014 als junge Journalistin nach Afghanistan zu gehen und über den
Alltag von Menschen in diesem Krieg- und Terror-geschüttelten Land zu
berichten.
Viel von diesen Alltagssituationen, vom Lebensgefühl, vom
Mut und von der Angst der Menschen in Afghanistan vermittelte die Journalistin
den gespannt zuhörenden und nachfragenden ehren- und hauptamtlichen
Flüchtlingsbegleitern. Mit leuchten Augen erzählte sie von der Schönheit des
Landes, der Warmherzigkeit und Lebensfreude der Menschen. Sie vermisse das Land
oft, sagte Ronja von Wurmb-Seibel, die inzwischen in Hamburg lebt.
Sie erzählte aber auch von der traditionellen Feindschaft
zwischen den verschiedenen Ethnien, dem tiefen Misstrauen untereinander; von
dem mutigen Versuch einer Gruppe junger Afghanen, in Kabul eine multi-ethnische
WG zu gründen, aller von Kindesbeinen an verinnerlichten Vorurteile zum Trotz.
Davon, dass Kinder und Jugendliche in Afghanistan – zwei
Drittel der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre alt - wenig Kindheit hätten,
keine Perspektive und keine Unterstützung durch Erwachsene kennten. Die Politik
sei von alten Machteliten geprägt, die vor allem sich selber versorgten.
Sie erzählte von persönlich erlebten Missverständnissen
aufgrund der komplett unterschiedlichen Kulturen. Deutsche Direktheit werde von
Afghanen als provokant und respektlos empfunden, Höflichkeit und Respekt,
besonders vor dem Alter, sei ein ganz hoher Wert. Hier konnten die TN an viele Erfahrungen
anknüpfen, die sie in der Begegnung mit Flüchtlingen gemacht hatten. Kommunikation,
so von Wurmb-Seibel, sei sehr mühsam aber auch das A und O: Sie ermutigte, die
Unsicherheiten immer wieder anzusprechen, nachzufragen, was in Afghanistan
üblich sei, aber gleichzeitig zu erklären, wie es hier in Deutschland sei. Es
brauche oft viele Versuche und Anläufe, bis afghanische Flüchtlinge, vor allem
Jugendliche, sich wirklich öffnen könnten und trauten, Wünsche oder Gefühle zu
äußern oder gar „Nein“ zu sagen.
Unterschiedliche kulturelle Zuschreibung spiele auch in der
Beurteilung von Kleidung, etwa der Burka eine Rolle. So habe sie beispielsweise.
eine Polizistin kennengelernt, die innerhalb von Gebäuden modisch top gestylt
sei, auf der Straße sich aber die Burka überwarf. Das sei kein Einzelfall, die
Burka sei einfach auch ein Schutz, zwar gesellschaftlich opportun, aber nicht
so religiös oder ideologisch aufgeladen, wie es in Europa dargestellt würde.
Die politische Lage in Afghanistan sei gekennzeichnet durch Interessen
ausländischer Mächte, eine schwache, labile Zentralregierung und mächtiger
Führer der verschiedenen, nach Ethnien besiedelten Provinzen. Die
Sicherheitslage in Afghanistan werde immer gefährlicher. Abschiebungen mit dem
Argument, die Afghanen könnten ja in sichere Gebiete ausweichen, ignorierten
die ethnischen Feindschaften, die es für Angehörige der einen Ethnie unmöglich
machen, im Gebiet einer anderen Ethnie zu wohnen, und ignorierten auch die
ständige Zunahme von Anschlägen und Gewalt., Sie ermutige die TN gegen jeden
Bescheid mit allen rechtlichen Mitteln vorzugehen, so mühsam und frustrierend
das auch sei.
Hoffnung, so Ronja von Wurmb-Seibel, setze sie, bei aller Dramatik
der Situation, zum einen in Friedensgespräche zwischen der Regierung und den
Taliban, auch diese seien übrigens kein monolithischer Block, sondern von
gemäßigt bis fanatisch gebe es alle Gruppierungen Zum anderen mache ihr wachsender Widerstand ziviler Gruppen
Hoffnung, etwa „Sitins“ gegen Gewalt und
Terror, die sich von einer Provinz in inzwischen 16 Provinzen ausgebreitet
hätten, über die aber in Europa kaum etwas bekannt sei.
Die Journalistin beschloss den Abend mit einer Lesung aus
Ihrem Buch „Ausrechnet Kabul“, beindruckt und voller neuer Perspektiven auf das
so fremde Land Afghanistan gingen die Teilnehmenden nach Hause.
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